In einer Welt, in der auch im Finanzsektor ökologische und soziale Verantwortung im Fokus sind, wird Nachhaltigkeit auch für Primärbanken zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Geschäftsstrategie. Die Anforderungen von Regulierungsbehörden, Investor:innen und Kund:innen steigen, und der Druck, nachhaltige Praktiken zu integrieren, wächst stetig. Doch Nachhaltigkeit ist nicht nur eine Pflicht – sie bietet auch erhebliche Chancen. Primärbanken, die Nachhaltigkeit strategisch angehen, können ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken, Risiken besser managen und sich als zukunftsfähige Akteure im Finanzsektor positionieren.
„Nachhaltigkeit ist für Primärbanken eine vielschichtige Herausforderung,“ weiß Dr. Christiane Bouten, Managerin und Spezialistin Sustainable Finance beim Genoverband e.V. sowie beratend tätig bei AWADO. „Dabei darf man sich nicht im Aktionismus verlieren. Die Frage ist: Wie fortgeschritten ist die Bank in ihrer Ausrichtung in punkto Nachhaltigkeit und welche strategischen Überlegungen und Maßnahmen folgen nun?“
Bedeutung der Nachhaltigkeit für Primärbanken
Für Primärbanken besteht das strategische Umsetzen von Nachhaltigkeitspraktiken darin, dass sie sowohl regulatorische Anforderungen erfüllen als auch gesellschaftlichen Erwartungen und Notwendigkeiten, nicht zuletzt im Sinne ihrer genossenschaftlichen DNA, gerecht werden müssen. In diesem Kontext umfasst Nachhaltigkeit mehr als nur ökologische Verantwortung, sondern ist heute mehr denn je von sozialer Relevanz bestimmt und stellt daher eine Fortführung der grundlegenden Prinzipien dar, die Genossenschaften seit jeher leiten. Diese Prinzipien, wie Solidarität, Gemeinwohlorientierung und langfristige Stabilität, machen Nachhaltigkeit zu einer natürlichen Erweiterung des genossenschaftlichen Auftrags.
Dr. Christiane Bouten unterstreicht die Bedeutung von Authentizität: „Nachhaltigkeit ist mehr als Zertifikate und Stromsparen. Es geht darum, wirklich das zu halten, was wir versprechen, und das Vertrauen von Kund:innen, Stakeholder:innen und Mitarbeitenden durch authentisches, sinnvolles Handeln zu wahren.“ Sie hebt hervor, dass Nachhaltigkeit für Banken ein weites Feld sein kann, das es zu navigieren gilt: „Es gibt keine einheitliche Definition oder ein einziges Muster, um eine wirklich nachhaltige Bank zu sein. Nachhaltigkeit ist letztendlich ein Entwicklungspfad mit vielen möglichen Abzweigungen und parallelen Wegen, die sinnvoll zum Ziel führen können und auch müssen. Genau das macht es so komplex.“
Nachhaltigkeit systemisch integrieren
Nachhaltigkeit strategisch umzusetzen, erfordert aber nicht nur den Willen, sondern genauso gezielte Expertise und sinnig eingesetzte Ressourcen. Hier kommt das Nachhaltigkeitsmanagement ins Spiel, das eine zentrale Rolle bei der Implementierung und Überwachung der Nachhaltigkeitsstrategie innerhalb eines Kreditinstituts spielt. Aufgaben umfassen hier im Sinne der nachhaltigen Geschäftsführung die Entwicklung und Umsetzung von Strategien, die den langfristigen Zielen der Bank entsprechen, sowie die Überwachung des Fortschritts bei der Umsetzung dieser Maßnahmen. Eine Investition in ein spezialisiertes Management – in-house oder durch externe Expertise – ist ein sinnvoller Anfang.
In der Rolle als Manager:in des Bereichs Nachhaltigkeit (oft auch bezeichnet als Nachhaltigkeitskoordinator:in, Nachhaltigkeitsbeauftragte:r, Referent:in Nachhaltigkeit) stehen Expert:innen beratend und unterstützend verschiedenen Abteilungen innerhalb der Bank zur Seite und sind für die Kommunikation der Nachhaltigkeitsbemühungen sowohl nach außen als auch nach innen verantwortlich. Ein wichtiger Aspekt ihrer Arbeit ist weiterhin die enge Zusammenarbeit mit externen Partner:innen, wie NGOs, Regulierungsbehörden und anderen Finanzinstituten. Dr. Christiane Bouten betont: „Nachhaltigkeit zieht sich durch die gesamte Bank – vom Einkauf über das Privat- und Firmenkundengeschäft bis hin zur Kommunikation. Doch gerade für kleinere Häuser kann es eine Herausforderung sein, die vielen Facetten allein zu bewältigen. Hier ist externe Expertise unverzichtbar.“
Das BVR-Nachhaltigkeitscockpit und der Reifegradfächer
Um diese umfassende Integration der Nachhaltigkeit systematisch und effizient zu unterstützen, ist das BVR-Nachhaltigkeitscockpit ein wertvolles Instrument. Es handelt sich um eine Bewertungsmatrix, die alle Handlungsfelder und Themen auf der „Nachhaltigkeitslandkarte“ widerspiegelt. Der Begriff „Cockpit“ ist bewusst gewählt. Es dient der Bank vor Ort als Steuerungsinstrument. Der Pilot, das ist die Bank selbst, bestimmt die Richtung und das Ambitionsniveau.
Das Cockpit beinhaltet eine Einstufung des Umsetzungsstands zu jedem Handlungsfeld und Thema – den sogenannten Reifegrad. Dieser ist Dreh- und Angelpunkt des Nachhaltigkeitsmanagements von Primärinstituten und ermöglicht eine weitgehend objektive Bestandsanalyse, die Ableitung von Zielen und Maßnahmen für eine Positionierung sowie die Überwachung und Prüfung der Zielerreichung durch das Management.
Das BVR-Nachhaltigkeitscockpit ist mit mehr als 30 Kriterien ausgestattet ist, die dabei helfen, den Reifegrad einer Bank objektiv bestimmen zu können. Es ermöglicht die Bewertung des aktuellen Status Quo und die messbare Bestimmung der Reifegradstufen.
Wichtig zu wissen: Aktuell befindet sich das Cockpit in der Version 2.0, die im Juni 2024 aktualisiert wurde. Das Cockpit wurde konkretisiert und die Kriterien an gegenwärtige Ansprüche und Bedarfe angepasst. Ein Beispiel: In den Handlungsfeldern ist ganz konkret die Stufe 0 weggefallen. „Abwarten und nur regulatorische Nachhaltigkeitsmaßnahmen umzusetzen, sind keine Option mehr“, verdeutlicht auch Dr. Christiane Bouten. Die neuen Reifegradstufen beginnen daher bei 1, was die Notwendigkeit unterstreicht, konkrete Fortschritte zu machen.
Die Zielsetzung besteht in der Kontinuität
„Es ist wichtig, sich Ziele zu setzen und darauf hinzuarbeiten. Manchmal muss man Prioritäten festlegen – man kann nicht alles auf einmal erreichen. Wichtig ist, dass Nachhaltigkeit kein einmaliger Prozess ist, sondern kontinuierlich verfolgt wird“, resümiert Dr. Christiane Bouten. Der Weg zur nachhaltigen Bank mag vielschichtig sein, doch die Investition in eine durchdachte Strategie wird sich langfristig auszahlen. Primärbanken sollten so früh wie möglich damit beginnen, ihre Nachhaltigkeitsstrategie systematisch aufzubauen und weiterzuentwickeln, in ihr Geschäft zu integrieren und gemeinsam mit einem professionellen Team die nächsten Schritte zu planen.